Künstler im Dialog
„Jeder Mensch mit Behinderung darf Kinder haben.“ Zu diesem Satz aus der UN-Behindertenrechtskonvention hat Alfons Holtgreve einen für ihn typischen figürlichen Scherenschnitt entworfen: ein Baby auf den Knien eines Rollstuhlfahrers. Manfred Henke, der seit 1968 im Heilpädagogischen Therapie- und Förderzentrum St. Laurentius in Warburg lebt, schaute sich das Bild an und legte los. Er antwortete mit einem ebenfalls für ihn typischen Bild: Er zeichnete ein Schlagzeug, das er mit Begeisterung auch spielt, daneben ein Baby-Schlagzeug. „Das ist sehr spaßig“, findet Alfons Holtgreve. „Sehr schön reagiert, wunderbar direkt und unverschwitzt.“
„Zurecht im Gespräch“ ist dieser künstlerische Dialog überschrieben. 15 Werke sind auf diese Art und Weise entstanden. Zum Thema haben sie Aussagen der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland seit 2009 geltendes Recht ist. Eine barrierefreie Gesellschaft, das Recht von Menschen mit Behinderung zu heiraten, zu arbeiten, ihre Meinung zu sagen, zu wählen, den eigenen Wohnort zu bestimmen – So manches, was selbstverständlich sein sollte, ist es noch nicht. Für einen Meinungswandel in der Gesellschaft setzen sich Alfons Holtgreve und Manfred Henke mit ihren Werken ein. Letzterer aufgrund seiner Behinderung ganz ohne Worte. „Wir verstehen uns gut“, sagt Alfons Holtgreve, dessen Scherenschnitte auf Plakaten, Buch- und CD-Covern und als Zeitungsillustrationen eine weite Verbreitung gefunden haben. „Wenn wir uns treffen, haut er mir auf die Schulter und lacht.“
Mit den Rechten von Menschen mit Behinderung hat sich Manfred Henke schon häufiger auseinandergesetzt. So illustrierte er im Auftrag des Landes NRW das seit 2008 geltende Wohn- und Teilhabegesetz. Die Werke des 61-Jährigen wurden bereits vielerorts ausgestellt, so etwa in Berlin, München und London. Mit Vorliebe zeichnet Henke Schlagzeuge in unterschiedlichsten Variationen in Atlanten. „Die Frage nach dem Warum kann nur erahnt werden“, sagt Ute Dohmann-Bannenberg, Kulturbeauftragte bei den Caritas Wohn- und Werkstätten im Erzbistum Paderborn, die das künstlerische Zwiegespräch anregte. Sie begleitet Manfred Henke seit vielen Jahren. Der werde durch die Anerkennung seines künstlerischen Wirkens und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern zusätzlich inspiriert, erklärt sie. Auf diese Weise sei Manfred Henke zu einem „Botschafter“ für Menschen mit Behinderung und die Anliegen der UN-Behindertenrechtskonvention geworden.
Die Behindertenrechtskonvention zeichne das Bild einer inklusiven Gesellschaft, sagt Ute Dohmann-Bannenberg, und damit die „Vision eines humanen, respektvollen und friedlichen Zusammenlebens und Zusammenhandelns der Menschen“. Zu ihrer Umsetzung sei mehr als eine kosmetische Korrektur in der Architektur oder die barrierefreie Gestaltung von Straßen nötig, betont sie. Dafür sei eine „Revolution in den Köpfen“ erforderlich. „Dazu braucht es Menschen wie Manfred Henke und Alfons Holtgreve“, sagt sie. Die Kooperation der beiden hat sie begleitet, das „Ringen um Nähe und Distanz im künstlerischen Kontext“ beobachtet und Assistenz in Form von Kommunikationshilfen geleistet. „Das war für mich ein Geschenk.“ In Brakel wurden die 15 Werke schon einmal ausgestellt, weitere Ausstellungen sind in der Überlegung. „Ich wünsche mir, dass diese Werke Menschen ins Gespräch bringen“, sagt Ute Dohmann-Bannenberg. „Dass diese Werke zunächst mit Gedanken und Worten gefüllt werden, die dann zu Taten reifen.“